Quelle: Grafschafter Nachrichten 8. November 2019; Autor: Gerhard Herrenbrück;
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Auf Einladung der Grafschafter Volksbank war am Mittwochabend Margot Käßmann in Nordhorn zu Gast. Die Veranstalter ahnten wohl, wie enorm das Interesse des Publikums sein würde. Da erschien das Euregium als Veranstaltungsraum gerade groß genug.
Nordhorn Und so war es auch: Da, wo sonst die Tempogegenstöße der HSG das Parkett erbeben lassen, saßen jetzt 1000 geladene Gäste, alle aus dem Euregio-Invest-Bereich: „Die größte Kundenveranstaltung aller Zeiten in der Grafschaft Bentheim“, so vermutete Bankvorstand Jürgen Timmermann in seiner Begrüßung. Sein besonderes Willkommen aber galt Margot Käßmann, dem Mittelpunkt des Abends. In dem John Lennon-Titel „Imagine“, zu Beginn von der Sopranistin Ebi van Sloten und Bodo Wolf, Gitarre, eindrucksvoll dargeboten, sah er eine Friedenshymne, für die der Abend stehen möge.
Margot Käßmann muss man hierzulande nicht vorstellen: Man kennt die umtriebige und meinungsstarke Theologin, omnipräsent in den Foren, Fernsehkanälen und auf den Kanzeln der Republik, Inhaberin höchster kirchlicher Ämter in der Evangelischen Kirche Deutschlands, zuletzt seit 2012 als Botschafterin des Reformationsjubiläums in der ganzen Welt unterwegs. Inzwischen im Ruhestand, ist sie von Berlin wieder zum Familiensitz nach Hannover zurückgekehrt, der in Verbindung mit ihrem Haus auf Usedom nicht nur ein begehrter Ankerplatz für ihre vier Töchter und sechs Enkel ist. Er gibt ihr auch die Ruhe für ihre umfassende publizistische Tätigkeit und bildet die Startbahn für regelmäßige Aufbrüche in ihre große virtuelle Gemeinde, in der sie nach wie vor zu den Vordenkern des öffentlichen Diskurses gehört – als Buchautorin, Publizistin und Vortragsrednerin.
Spielend füllt sie die größten Arenen, so wie jetzt auch in Nordhorn: Jenseits jedes Kanzeltons wendet sie sich in einer glaubwürdigen Sprache, in anschaulichen kleinen Beispielerzählungen und in freier Rede ihrem Publikum zu und spricht über ein Thema, das einen weiten gedanklichen Horizont eröffnet: „Was wirklich zählt – Christliche Werte in unserer Gesellschaft“.
Die Ex-Bischöfin weist einleitend auf die Krisensymptome in der Gesellschaft hin angesichts von Attentaten, Kriegen, Hass und Gewalt, von Antisemitismus und einer erodierenden Sprache, und sie ordnet ihre Gedanken in vier große Abschnitte:
Die gegenwärtige Lage des christlichen Glaubens: Sie ist in Deutschland und in der westlichen Welt gekennzeichnet ist durch einen Niedergang des Christlichen. In Wittenberg, der Stadt Luthers, gibt es heute noch 7 Prozent Christen. Die Referentin betont die Notwendigkeit der „Bindung des Glaubens an die Bibel“, die nur erwachsen kann aus dem „Wissen über die Bibel“. Die Kenntnis der biblischen Geschichten erschließt ein Menschenbild, das auf Liebe und Erbarmen beruht: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ So lautet die Antwort Jesu auf die Fangfrage, wie man mit einer Ehebrecherin umgehen solle. Die Glaubwürdigkeit solcher Texte macht sie gerade für den Menschen von heute attraktiv.
Die Bedeutung der zehn Gebote: Sie stammen zwar aus einer agrarischen Welt, sind aber in die Moderne ohne Bedeutungsverlust zu übertragen und sind „die Lebensregeln für eine gute Welt“. Das leuchtet bei den ethischen Geboten der zweiten Tafel unmittelbar ein. Die Gebote der ersten Tafel stellen dafür die Grundlage dar und verankern die Werthaltung in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
Die Wirtschaftsethik: In einer Genossenschaftsbank ist ganz im Sinne Luthers ein wesentlicher christlicher Grundgedanke für den Umgang mit Geld enthalten. Es kommt auf den Kreislauf des Wechsels von Geben und Nehmen an. „Wir brauchen einander“, so die Referentin. „Keiner muss sich schämen, die Hilfe des anderen anzunehmen.“ Die Bibel, in der nicht selten von Geld geredet werde, sehe den Mammon im Gegensatz zu Gott. „Geld muss dienen“ – das ist das Kriterium für den verantwortlichen Umgang mit Geld. Wucher und Spekulation seien das Gegenteil davon, so Margot Käßmann.
Das christliche Liebesgebot: In ihm sind alle 613 Ver- und Gebote der Bibel aufgehoben. Das Verhältnis von Gottesliebe und Menschenliebe sowie von Nächstenliebe und Selbstliebe gibt ihm diese einzigartige Stellung als Summe aller Gebote. Nur wer sich selbst annimmt, ist auch befähigt zur Nächstenliebe. Der christliche Wert des Teilens gehört dazu. Und wir brauchen eine Ethik des „Genug“ statt einer Gier nach Mehr. Eine Gesellschaft, die „Geiz geil“ findet, ist krank.
Fazit: Margot Käßmann kommt zu dem Schluss, dass die Gesellschaft Deutschlands und Europas ohne Religion nicht zu verstehen ist. Ihre Werte-Grundlagen sind christlich. Sie geben Orientierung für unser Land. Jeder einzelne ist dazu berufen, in seinem Leben diese Werte umzusetzen. Und das bezieht auch kulturelle Werte mit ein: Die Bibel gehört in den Kanon der Weltliteratur.
Im Anschluss an ihren mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag nahm Margot Käßmann noch Stellung zu Fragen der Zuhörer – darunter auch eine, die sich kritisch auf die derzeit grassierende Verunglimpfung der Landwirte bezog, die am Pranger stehen. Käßmann dazu: „Wir brauchen eine neue Wertschätzung der Nahrung. Nicht alles darf nur billig sein.“