„Weltpolitik kommt schnell in den Wohnzimmern an“

ARD-Börsenexperte Markus Gürne stimmt sein Publikum in Nordhorn auf unausweichliche Veränderungen ein

Nordhorn Einen gefragten Redner, aber gewiss keine leichte Kost hat die Grafschafter Volksbank am Dienstagabend in der Alten Weberei serviert. 200 Gäste im Saal saßen – geimpft, genesen oder getestet – zu dritt oder zu viert an auf Abstand verteilten runden Tischen, etliche hatten sich von zu Hause aus zugeschaltet. Sie waren gespannt, wie der Journalist Markus Gürne „Zukunft neu denken“ würde. Um es vorwegzusagen: Er hatte bittere Wahrheiten im Gepäck.

Volksbank-Vorstand Jürgen Timmermann skizzierte eingangs den hohen Veränderungsdruck, dem auch die Genossenschaftsbank mit ihren 34.000 Mitgliedern und etwa 65.000 Kunden ausgesetzt ist: „Negativzinsen, eine hohe Staatsverschuldung und eine Inflationsrate von mehr als vier Prozent – das ist in dieser Form noch nie da gewesen.“

Markus Gürne, der ARD-Börsenexperte und ehemalige Auslandskorrespondent des Senders,
beließ es bei einer kurzen, allgemeinen Empfehlung in puncto Vermögensbildung und finanzieller Absicherung. Kein Sparbuch mehr, dafür einen Sparplan legte er den Zuhörern nahe und stellte klar: „Wer Rendite haben will, muss ins Risiko gehen.“ Das erfordere Eigeninitiative und den Willen, sich über Anlageformen zu informieren: „Bei Sachwerten aller Art, ob Aktie oder Betongold, sollte jeder sich fragen: Welche Produkte gefallen mir, welche Unternehmen stehen dahinter?“ Es werde „endlich Zeit, sich mit diesem Thema zu beschäftigen“, sagte der 50-Jährige. Wer immer noch glaube, die Welt drehe sich zurück, unterliege einem Irrtum.

Einen Großteil seines knapp einstündigen Vortrags widmete der Referent indes einem
wirtschaftspolitischen Streifzug in großer Flughöhe. Gürne stellte mit einer einzigen
Präsentationsfolie die globalen Machtverhältnisse anhand einer Weltkarte dar. Sie zeigt die
mächtigen Akteure China, USA, Indien und Russland, die durch schiere Größe, wirtschaftliche
Kraft und technologischen Vorsprung ein gemeinsames Interesse haben: ihre Waren im größten Wohlstandsgebiet mit der höchsten Kaufkraft abzusetzen – in Europa. Ein brandgefährlicher Plan für rohstoffarme Länder wie Deutschland, die ihrerseits dringend auf Exporte angewiesen sind. Gürne berichtete von einer Welt, in der er viel herumgekommen ist und ungeschminkte Einschätzungen wahrgenommen hat.

Vor allem der Blick auf China lässt ihn zu dem Schluss kommen: „Deutschland wird nicht als Staat auf Augenhöhe wahrgenommen.“ Europa schon eher, wie Gürne hervorhob, der die Einheit in der Europäischen Union als einzige Möglichkeit beschwor, Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu erhalten.

Wie die großen Player nach Vorherrschaft streben? Etwa so: China habe die Taliban-Herrschaft in Afghanistan als einer der ersten Staaten anerkannt, und zwar mit Kalkül. Denn im Boden dieses geschundenen Landes liegen Lithium, Kobalt, Seltene Erden, Öl und Gas im Wert von mehreren Billionen Euro. Den Chinesen gehe es aber nicht nur darum, diese Vorkommen zu heben, sondern sie zu kontrollieren, denn es sind Rohstoffe, auf die Europa angewiesen ist. Eine künstliche Verknappung führe zur Teuerung beim Einkauf und schlage auf die Portemonnaies der Verbraucher durch: „Da kann Weltpolitik sehr schnell in den Wohnzimmern ankommen“, sagte er.

Zukunft „neu“ zu denken, bedeutet aus Sicht des 50-Jährigen, sich auf eigene Stärken zu
besinnen und in Sektoren wie Mobilität, Maschinenbau oder Energie viel Kraft zu investieren.
„Dann ist man in der Welt ziemlich weit vorne.“ Deutschland kann Premium – auch so eine
Feststellung des Referenten, die bloße Gegenwart beschreibt, aber keine Garantie für die Zukunft ist. Am Geld als Treibstoff für Innovationen und schnelle Marktanpassung werde eine solche Entwicklung nicht scheitern, machte Gürne deutlich und verwies auf mehr als sieben Billionen Euro, die auf privaten Konten in Deutschland liegen und ein gewaltiges, potenzielles Risikokapital darstellten.

Ob Deutschland und Europa sich im globalen Wettbewerb behaupten können, ließ Markus Gürne offen. Deutsche Konzerne sollten sich ein Beispiel am Mittelstand nehmen, der viele „heimliche Weltmeister“ in seinen Reihen habe.

Doch wäre aus seiner Sicht viel gewonnen, wenn Politik und Gesellschaft die Realität erkennen würden, etwa mit Blick auf den Automobilbau als eine deutsche Vorzeigeindustrie: „Es geht nicht darum, wie viel Google in einem Auto steckt. Die eigentliche Frage ist: Wann kauft Google Daimler?“ Das könnte der US-Gigant nämlich „aus der Portokasse“ begleichen, und es würde den gebürtigen Schwaben Markus Gürne ganz besonders schmerzen.

Zur Person: Markus Gürne
Markus Gürne, derzeit Ressortleiter der ARD-Börsenredaktion in Frankfurt, blickt mit 50 Jahren bereits auf ein bewegtes Journalistenleben zurück. Die Fernsehzuschauer kennen ihn aus „Börse vor Acht“ als kundigen Beobachter der Finanzmärkte und des Geschehens an der Frankfurter Börse; seit 2016 moderiert er zudem das „Forum Wirtschaft“ bei phoenix.
Als Auslandskorrespondent der ARD in Neu Delhi war Gürne zuvor für Südasien zuständig und berichtete mehrere Jahre lang als Krisen- und Kriegsreporter unter anderem aus Sudan, Libyen, Syrien, Irak, Saudi-Arabien, Jemen, Oman und den Golfstaaten.

Der gebürtige Schwabe studierte in Tübingen Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Rhetorik. Er ist heute ein gefragter Redner und Vortragender. Für seine hervorragende
Wirtschaftsberichterstattung in Corona-Zeiten erhielt er 2020 zusammen mit Marcus Niehaves den Ernst-Schneider-Sonderpreis.

Quelle: Grafschafter Nachrichten vom 13.10.2021; Autor: Guntram Dörr

ARD-Börsenexperte Markus Gürne sprach auf Einladung der Grafschafter Volksbank über „Zukunft neu denken“ und zeichnete ein bedrückend-realistisches Bild der Gegenwart. Foto: Grafschafter Volksbank